Ich bin mir sicher, dass es noch in diesem Jahrzehnt brauchbare E-Books geben wird. Ich werde dann auch eines haben, natürlich werde ich dann auch weiter Analog-Bücher kaufen, aber die Auswahl wird kritischer sein und ich werde dann auch nicht mehr so oft Gast beim Bücherschrank auf dem Marktplatz sein, weil ich mich mal wieder verkauft habe. Buchläden werden dann übrigens so selten sein wie heute Schallplattengeschäfte, aber in den wenigen verbliebenen wird man von hochkarätigen Geisteswissenschaftlern und Literaten beraten werden.
Ein Grundproblem des Lebens wird das E-Book also nicht lösen können: Welches ist die beste Methode, Bücher im Regal zu ordnen?
Mich beschäftigt diese Frage seitdem ich vor dreißig Jahren mein erstes Billy-Regal kaufte. Vorher hatte ich einfach noch nicht so viele Bücher, dass dieses Problem überhaupt relevant wurde. Das Regal habe ich übrigens heute noch, es ist eines von den soliden mit soviel FCKW drin, dass Spuren davon sich noch heute in unserer Raumluft nachweisen lassen dürften. Im Laufe der Jahre wurden es immer mehr Regale, erst seit drei Jahren stagniert die Zahl der Bücher, weil ich mittlerweile in der Lage bin, mich von denen zu trennen, die ich nicht mehr mag. Außerdem komme ich jetzt in das Alter des zweimal-Lesens, das heißt ich nehme mir Bücher vor, und lese sie wieder. Das ist ein interessanter Prozess, denn ich verändere mich beständig und damit ändert sich auch mein Verhältnis zum Gelesenen. Seit ich allerdings Jasper Ffordes LitAg Thursday Next kenne, weiß ich, dass sich auch Bücher verändern (können).
Angefangen habe ich zaghaft mit ein paar Karl-May-Romanen in der historisch-kritischen Ausgabe. Das Ergebnis war eher enttäuschend. Die Erfahrung mit Kästners „fliegenden Klassenzimmer“ hingegen war erfrischend, dieses Buch bleibt ewig jung. Wie es mit den Buddenbrooks steht, wird sich (hoffentlich) dieses Jahr zeigen.
Zurück zum Bücherbord. Natürlich liegt es nahe, die Bücher einfach nach dem Alfabet zu ordnen. Ich habe das auch schon getan und praktiziere es die letzten Jahre in einer spezifizierten Form wieder. Das Problem ist, dass die Lieblingsbücher dann immer in den untersten Reihen stehen und man sich die Knie schubbert. Im Zentrum, auf Augenhöhe (!) des Betrachters steht dann garantiert etwas, das Halbgebildete zu kurzgeistigen Äußerungen bringt: Nietzsches „Wille zur Macht“ („bist du Faschist?“), Bukowskis Gedichte, die einer schrieb, bevor er aus dem 38. Stock sprang („so etwas frauenfeindliches liest du?“) oder Dieter Roths „Typische Scheiße“ („soll ich dir einen guten Psychiater empfehlen?“). Ich balle dann immer die Faust in der Tasche und beruhige mich mit der Tatsache, dass es nicht unbedingt das Buch sein muss das hohl klingt, wenn es mit einem Kopf zusammenstößt. Und dann gibt es natürlich noch Hans Erich Nossack, der gegen die alfabetische Ordnung wetterte, weil Bücher eben keine Briefmarken oder Schmetterlinge sind, sondern „höchst lebendige Individuen, die nie aufhören, Rücksicht und Teilnahme zu verlangen.“ – Oder so.
Jedenfalls habe ich es auch schon mit Sortierung nach Farben versucht. Das war allerdings totaler Blödsinn. Die Sortierung nach Größen hätte Analcharakteren gefallen, mir war das zu ordentlich und außerdem auch der falsche Parameter. Mein ältester Freund Michael hatte seine Bücher nach „Themen“ geordnet. Beim Thema „Anarchie“ stand dann Bakunin neben Nietzsche, dem Mescalero und der Anleitung zum Bomben bauen. Ich glaube das ist das genialste Ordnungsprinzip, aber es versteht eben nur derjenige, der es angelegt hat. Ich bin mir nicht sicher, ob Michael das Prinzip immer noch innehat. Bei unserem letzten Besuch versäumte ich zu fragen. Ich glaube auch nicht, dass er die Anarchistenecke noch betreibt, schließlich ist er mittlerweile im diplomatischen Dienst.
Ein anderer Freund packt seine Lieblinge in die unteren Etagen, damit er sich quasi ehrfurchtsvoll vor ihnen hinknien muss, will man eine Sentenz nachschlagen. Die Sachbücher kommen nach oben, denn „der Weg zum Wissen muss ein beschwerlicher sein.“ Naja, geht so.
Eine andere Bekannte stellt die Bücher, die in ihrer Gunst gefallen sind in die Sonne oder an die Heizung, damit die Rücken bis zur Unkenntlichkeit ausbleichen oder der Bindeleim austrocknet. Ich verstehe den Hintergrund, denn schlechte Bücher können uns Lebenszeit rauben. Solche Rache muss ich aber an Büchern nicht nehmen, ich gebe sie dann einfach weiter.
Von einem spannenden Ordnungsprinzip las ich erst kürzlich. Romane werden nebeneinander gestellt, deren Helden sich gut verstehen könnten, falls sie sich kennten. Dann stände also Prousts Swann neben den Buddenbrooks, Philip Marlowe neben Mario Conde und der Gatsby neben Jane Eyres‘ Rochester? – Und wohin dann mit den vielen zickigen weiblichen Romanheldinnen?
Kein Ordnungsprinzip ist eben perfekt.
Einen konkreten Vorschlag habe ich übrigens noch für Bücher auf dem Nachtschrank. Er ist von Julian Barnes: „nur Bücher, die sich gut auf dem Nachttisch machen, falls man plötzlich und unerwartet verstirbt.“
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