Nach einem arbeitsreichen Tag stand ich an der Stadtbahnhaltestelle MHH und wartete auf den Zug, der mich nach Hause bringen sollte. Hoffentlich ist der Platz hinter dem Fahrer frei, dachte ich bei mir. Auf diesem Platz sitze ich gerne, man kann am Fahrer vorbei nach vorne die Strecke beobachten, während man sonst eben nur seitlich herausschauen kann. Aber es sollte ganz anders kommen. --
Schon als sie mich grüßte, wußte ich, dass es wieder eine dieser Begegnungen werden würde. Wer grüßt schon einen Wildfremden an der Haltestelle? Sie ging weiter und löste am Tix eine Fahrkarte. Da kam die Bahn, der Platz hinter dem Fahrer war von einem Walkmanhörenden Jüngling besetzt, der den Sitz, den er mir vorenthielt gar nicht zu schätzen wußte. Aber das war nicht der größte Schock: Die Grüßerin schaute sich kurz im Wagen um und setze sich dann neben mich.
"Ich heiße Mupfegart Ziesebein."
"Angenehm, Dr. Noth Weinstus", wenn ich jedoch dachte, ich würde sie mit dieser Frechheit loswerden, dann hatte ich mich getäuscht.
"Komischer Name", ich mußte grinsen. Die hatte es gerade nötig.
"Ist ein Anagramm meines Namens, wissen sie ein Anagramm, das ist..."
"Eine Umstellung der Buchstaben zu einem neuen Wort, weiß ich", die Ziesebein zögerte einen Augenblick und dachte nach, "dann heißen Sie in Wirklichkeit Thorsten Windus."
Jetzt wurde mir die Sache unheimlich. Seit der Lektüre der "Prophezeihungen von Celestine wußte ich, dass es solche Begegnungen geben soll... und dass die Menschen solcher Begegnungen eine Botschaft für einen haben."
"Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor."
Das konnte nicht sein, ich kenne niemanden, der Mokassins trägt, das wußte ich sicher. Ganz sicher seit einer Begegnung, die ich erst kürzlich hatte. Und dann noch eine Mokassintragende Frau. Aber gottlob schien Mupfegart das Thema gar nicht vertiefen zu wollen.
"Ich bin arbeitslos. Mal wieder."
"Oh, das tut mir leid."
"Ach, muss es nicht. War ein Scheißjob, ich war Telefonwarteschleifensummerin bei der TUI."
Jetzt wurde mir flau im Magen, diese Geschichte hatte ich mir doch gerade letzte Woche ausgedacht, wie konnte diese Zausel... War die denn wahr?
"Die lassen die Leute bei der TUI so lange in der Warteschleife, damit sie die 190er Gebühr kassieren können. Und ich wurde dabei heiser vom Summen. Außerdem fielen mir nach zwei Wochen keine Volkslieder mehr ein. Da haben sie mich gefeuert."
"Und nun?"
"Nicht so schlimm, ich hatte schon viel fiesere Jobs. Zum Beispiel war ich mal Abführtee-Testerin bei einer Getränkefirma. Und auf einem Ökofriedhof habe ich die Kompostier-Expertin gegeben. Für die Regierung habe ich abgebrannte Brennstäbe heimlich in meinem Körper nach Gorleben transportiert."
"Interessant", staunte ich.
"Das war noch gar nichts gegen den Job, den ich für die Blöd-Zeitung gemacht habe. Als Kuh habe ich mich in einen Stall eingeschlichen und mußte jede Menge Tiermehl fressen, eklig. Achja und bei einem Tiefbauunternehmen war ich ein Vierteljahr als Abwasserrohr beschäftigt."
Es wäre wahrscheinlich noch eine Weile so weitergegangen, aber ich mußte aussteigen, was ich mal wieder als echten Segen betrachtete. Was hatte Mupfgart Ziesebein mir sagen wollen? Ich wußte es nicht. Aber ich hatte das beruhigende Gefühl, dass die Arbeitslosigkeit für sie ein echtes Glück sein mußte.
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