Mitte der 90er lebte ich etwa ein Jahr im schönen Oldenburg. Da hatte ich einige Verabredungen mit Frauen, Oldenburgerinnen eben. Eine besondere Spezies. Einmal war ich mit, nennen wir sie mal Brunhilde, zum Kino verabredet. Ich stand vorm Kino, wer nicht da war war Bruni. Nach einer Weile ging ich zum Telefon (Handys gab es damals noch nicht) und rief sie an. Sie lackierte sich gerade seelenruhig die Nägel, wie sie mir mitteilte.
"Heute ist doch Film gucken mit mir. Im Kino. Heute ist nämlich Samstag." –
"Also zunächst mal ist heute Sonnabend und nicht Samstag. Und das war doch nächsten Sonnabend!", erwidert sie. "Nein", sage ich, "wir haben am Mittwoch telefoniert. Und da haben wir gesagt: ,nächsten Samstag!'" - "Genau!", sagt Bruni. "Nächsten Sonnabend. Nicht diesen Sonnabend."
Wenn ich mich mittwochs mit Freunden verabrede und sage "nächsten Samstag", dann meine ich den Samstag, der am nächsten ist. Schließlich ist "nächsten" der Superlativ von "nah". Und näher als der auf den Mittwoch folgende Samstag kann kein Samstag sein. In Oldenburg ist das anders. Dort meint man mit "nächsten Sonnabend" den zehn Tage entfernten. Und das verteidigen sie auch vehement: Der Sonnabend in drei Tagen sei keinesfalls der "nächste", sondern der "kommende", auch "dieser Sonnabend" genannt. Hier, so sagen sie, liege der entscheidende Unterschied: "Dieser Sonnabend" sei ein anderer Sonnabend als der "nächste Sonnabend".
Achja, die Diskussion ob nun Samstag oder Sonnabend lassen wir hier mal völlig außen vor. Die hatte ich damals nämlich auch schon geführt.
Ich war noch jung damals, Ende 30, es fehlte mir die Weisheit und Abgeklärtheit des Alters. Und ich stand vor diesem Kino, es war kalt, der Film hatte schon längst angefangen und ich sah einem einsamen Samstagabend entgegen. Und deshalb kantete ich nach: "Das ist doch total unlogisch!", sagte ich. "Ich sage ja auch nicht ,nächstes Jahr', wenn ich in Wahrheit das Jahr nach dem kommenden meine!" - "Du hast ja keine Ahnung!", sagte Bruni. Ich spürte, dass sie mich mittlerweile doof fand, "dieser Sonnabend" hat selbstverständlich nichts mit dem nächsten gemein.
Ich machte trotzdem weiter: "Wenn ich in einem Taxi fahre und sage: ,Nächste rechts, bitte!', dann fährt der Fahrer auch nicht die zweite rechts rein, oder?" - "Doch, wenn man nämlich ganz, ganz kurz vor der Querstraße ist, dann sagt man auch ,die nächste' und meint die zweite." - "Das ist sprachlich ja genauso falsch!" –
"Quatsch! Jeder versteht das, nur du nicht!", entgegnete Bruni, "Du willst mich einfach nicht verstehen?", fragte sie.
Spätestens an dieser Stelle hätte ich aufhören müssen, dann wäre wohl noch was zu retten gewesen. Leider machte ich weiter. "Stell dir doch mal vor, ich wäre beim Arzt im Wartezimmer. Früh morgens, der erste Patient. Wenn die Arzthelferin kommt und sagt, ,Der Nächste, bitte', wer ist dann dran?"
Dumm nur, dass Bruni selber Arzthelferin war, sie sah übrigens hinreißend aus in ihrem weißen Dress. - "Also bei meinem Arzt rufen wir immer mit Namen auf." –
"Ist doch jetzt völlig egal!", rief ich zornig. "Wer ist der ,Nächste' im Wartezimmer?!? Na??"
- "Du natürlich." –
"Falsch! Der nächste ist doch der nach mir", schreie ich ins Telefon, "zumindest nach eurer Logik! Das hieße, der erste Patient des Tages, auch ,dieser Patient' genannt, käme niemals zum Arzt, weil die da immer nur ,Der Nächste, bitte' sagen!!!"
Das letzte hatte Bruni schon gar nicht mehr gehört, sie hatte eingehängt. Als ich erneut anrief, war besetzt. Am nächsten Morgen und dem Abend darauf auch.
Ein paar Tage später öffnete ich an der Bushaltestelle einen Brief von ihr. Sie habe am Samstag, welchem auch immer, keine Lust mehr auf Kino. Und an anderen Tagen auch nicht. Dann wünschte sie mir ein schönes Leben.
Da wurde mir klar, was ich eigentlich schon wußte. Dass Sprache nicht logisch ist, sondern auf Konventionen beruht, und die können an der Küste anders sein als im Binnenland. Und noch etwas hatte ich gelernt: Besserwisserei ist Gift für Beziehungen, es ist unwichtig wer Recht hat. Kopfschüttelnd setzte ich mich auf eine Bank und wartete auf den Bus. In drei Minuten sollte der nächste kommen.
Oder dieser?
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