Neulich Abend im Bad beim Zähneputzen und Ohrenbohren hörte ich plötzlich eine dumpfe bekannte Stimme hinter mir:
„Na mein Lieber, was machen wir denn da?“
Da war er wieder: die hagere, alterslose Gestalt im schwarzen Mantel, eher ein Schädel als ein Kopf, Kälte und Modergeruch verströmend, eine Sanduhr in der linken Hand sass er in unserer Badewanne, in der rechten spielte er mit unserem Plastikhummer, seine Sense lehnte an der Duschkabine. Nein, es war nicht der Tod, es war sein kleiner Bruder, der Mainstream: Die Mitte der Gesellschaft, der Durchschnitt, Otto Normalzuschauer. Das Gegenteil von Freiheit, Abenteuer, Überraschung, Kreativität. Das Ende des wirklichen Lebens also.
Der Mainstream grinste mich mit seinen weißen Zähnen an und deutete mit seinen knochigen Finger auf die Waage auf der ich stand: „Was machst du denn auf einer Personenwaage, wieso gibt es in deinem Haushalt überhaupt eine, das war doch noch nie da. Und ich denke du wiegst sowieso immer 88 Kilo.“
Ich weiß auch nicht wie es kam, aber ich stand auf der neuen Waage, die sich meine Frau für ihren Metabolic-Balance-Fresszirkus angeschafft hat. Sie zeigt neben allen möglichen anderen Dingen auch das Gewicht an.
„Es dauert mindestens genauso lange abzunehmen, wie es dauert zuzunehmen“, nuschelte der Mainstream mit so einem Bauch bist du heute Unterschicht, sagt die neue Verzehrstudie vom Bundesernährungsminister.“
Abnehmen, Verzehrstudie. Was ist das überhaupt für ein Name. Es geht doch um Essen, um Genuss, um Sinnlichkeit. Verzehrt euch doch selbst!
„Tja“, fuhr der Alte fort. „Dein Vater hatte ja auch einen Bauch, damals war das aber okay, Männer hatten einen Bauch und wurden trotzdem geliebt und begehrt. Vielleicht sogar deshalb. Heute gibt es diesen Schlankheitswahn, der ist mainstream und du warst immer derjenige, der sich dem nicht gebeugt hat. Jetzt das.“ Damit wies er auf meine traurige Gestalt, die nackt auf einer Designerwaage stand. Ich ging ins Schlafzimmer, vor dem Schlafzimmerspiegel war ich eindeutig Unterschicht. Vor dem Flurspiegel war es besser, wenn ich die Bauchmuskeln anspannte ging es sogar. Was solls, jeder Zweite auf der Strasse ist irgendwie dicklich. Wie war das nur gekommen? Mehr Alkohol als früher hatte ich auch nicht getrunken. Auch nicht mehr gegessen, wobei, man merkt sich ja nicht alles…
Als ich ins Bad zurückkam, sass der Alte immer noch da: “Du bist ein Mann, Männer mögen Essen und Wein, beides möglichst vorm Fernseher. Richtige Männer essen kein Vollkornbrot. Gehen auch nicht ins Fitnesscenter. Ein Mann ist ein Mann, wenn er nicht über sein Gewicht spricht.“
„Ich habe keinen Ton gesagt“, warf ich ein.
„Aber bist hier rumgelaufen wie ein angestochenes Hühnchen, außerdem kann ich Gedanken lesen.“
Stimmte ja, der Alte kannte ja außerdem auch meinen Vater, er war ja nicht irgendwer.
„Wenn ich dich bei einer Brigitte-Diät oder beim Joggen erwische, nehme ich dich mit“, mit diesen Worten flog er durch das Badezimmerfenster raus, ich schmiß ihm noch seine verdammte Sense hinterher.
Seit vierzehn Tagen verzichte ich schweigend auf alles Überflüssige wie Alkohol und Süßigkeiten, the old school way eben – Fasten vor der Osterzeit.
Größe minus 100, zehn Prozent draufschlagen = Idealgewicht.
Also: 183 cm groß
83+ 8,3= Idealgewicht 91 Kilo.
Kommentiert von: wth40plus | Montag, 17. März 2008 um 15:23 Uhr
Lieber Herr Windus,
ich finde es interessant, wie Sie uns eigenltich mit der Entscheidung, was eigenltich richtig und falsch ist... alleine lassen.
Außerdem ist es Ihnen gut gelungen, ihr wirkliches Gewicht zu verheimlichen. Wir wissen nur, dass es wahrscheinlich über 88 Kilo liegt.
Wie so oft sehr zufrieden:
efd
Kommentiert von: Edmund F. Dräcker | Donnerstag, 13. März 2008 um 10:41 Uhr
Wann ist Mann denn eigentlich zu dick?
Kommentiert von: kieke | Donnerstag, 13. März 2008 um 10:38 Uhr