Las ich doch eine Todesanzeige von einer Frau Dr. Floranke. Ich bin mir nicht sicher, ob es die ehemalige Lehrerin von mir war, aber es lichtete sich beim Lesen ein Schleier, der über meiner Erinnerung gelegen hatte ...
Ich war 11 und die alte Schabracke muss so Mitte 50 gewesen sein. Die Bassetfratze mit den hängenden Augenlidern, den wabbernden Mundwinkeln aus denen es manchmal schäumend speichelte und den hängenden Wangenlappen, ich dachte ich würde sie nie vergessen.
Die Bismarckschule war damals ein reines Jungengymnasium und wir hatten nur männliche Lehrer. Manchmal wurden aber Lehrkräfte mit dem gegenüberliegenden Elsa-Brandström-Mädchengymnasium ausgetauscht. Unser Lateinlehrer Herr Senne schwärmte nach solchen Einsätzen dann immer von parfümierten Löschblättern im Klassenbuch und so. Mit der Floranke hatten wir nicht so viel Spaß. Ihr erster Auftritt bei uns ist Legende:
“Guten Morgen, liebe Kinder“, schnarrte die alte Gacke mit sandiger Stimme. Dann schrieb sie ihren saudoofen Namen an die Tafel und erklärte uns, was eine Eselsbrücke sei und wie sie einem helfen könnte, ihren Namen zu behalten. Ob denn einem von uns eine hübsche Eselsbrücke einfiele, fragte die Megäre.
Es meldete sich Fissi, eigentlich hieß er Olaf Fiswick, etwas größer als ein Dackel, Sommersprossen auf leichenblasser Haut und Haare wie ein Feuermelder. Die Floranke nahm ihn sofort dran und Fissi rief stolz:“Floh und Kacke“.
Es war gar nicht böse gemeint, dazu war Fissi viel zu naiv und blöd. Dennoch bohrte sich Frau Dr. Florankes Blick in Fissis unschuldige Kinderaugen und sprach Bände:“Okay, Kleiner, du hast einen Fehler gemacht, den du solange bereuen wirst, wie du auf dieser Schule bist...“
Ich Schleimbeutel hatte dann übrigens die erwünschte Eselsbrücke “Flora – die Blume“ gerufen.
Fissi allerdings bekam in Florankes Hauptfach Mathe kein Bein mehr an den Boden. Sie liebte es, ihn an die Tafel zu rufen und dort gnadenlos vor der Klasse seine Unwissenheit zu demonstrieren. Gerne nahm sie auch sein Hausaufgabenheft und dozierte darüber, dass man an der schlechten Handschrift eines Menschen seinen Charakter ablesen könne. Fissi verließ in der siebten Klasse die Schule. Ich weiß nicht was aus ihm geworden ist, aber ich glaube, wenn er die Todesanzeige gelesen hat, dann hat er sich bestimmt mit einem Kasten Bier, einer Dose Würstchen, einem Glas Gurken und einem Paket Toastbrot ans Leineufer gesetzt und gefeiert ...
Letzte Kommentare