Seitdem wir im Lister Blick wohnen frequentiere ich öfter die Linie 3 oder 7 der Stadtbahn. Schon mehrmals hatte ich dort einen jungen Mann gesehen, der mit einem prall gefüllten Ballonseiderucksack dicht bei der Tür stand und ständig in eine telefonbuchdicke Kladde schrieb. Einmal konnte ich ihm einen Blick über die Schulter werfen und sah, dass alle Seiten der Kladde eng beschrieben waren, rechts mit Uhrzeiten, links mit Kolonnen von Strichlisten. Seitdem nannte ich ihn Einstein, denn alle Leute die mit Zahlen hantieren können imponieren mir.
Letzen Samstag sah ich ihn wieder. Diesmal nahm ich Kontakt auf:
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie einfach so anspreche, aber was schreiben Sie da immer auf?“ Er brummte etwas Unverständliches, das entfernt nach „keine Zeit“ klang und schrieb weiter. Dann am Bahnhof raunzte er mir aber zu:“Wenn Sie jetzt mit aussteigen, habe ich fünf Minuten.“
„Ich notiere die Abfahrtzeiten an jeder Station und wie viele Menschen zusteigen“, erklärte er.
„Ah, Sie machen Statistiken für die Üstra?“
„Nein, wie kommen Sie darauf, ich arbeite in der Krankenhauswäscherei.“
„Aber wozu schreiben Sie das dann auf?“
„Das muss festgehalten werden, für die Nachwelt.“
Als ich ihn fragte, ob er den Film „Rain Man“ kenne, schaute er mich komisch an und meinte nur: „Ich muss weiter, in vier Minuten fährt die neun nach Empelde, da muss ich die Umsteiger notieren.“
Dann war er weg.
Ob die Nachwelt Einstein wohl Kränze flechten wird?
Den Typen kenne ich aus der Buslinie, die durch Ilten führt (für Nichthannoveraner: das ist das städtische Irrenhaus vor den Toren der Stadt.
Kommentiert von: obdulmx2 | Dienstag, 15. Januar 2008 um 09:46 Uhr