Manchmal treffe ich in der Stadtbahn meinen alten Freund R, wir fahren dann immer ein Stück gemeinsam bis zum Braunschweiger Platz, wo der Kunst-und Kulturjournalist halbtags in einer Werbeagentur textet. R beherrscht meisterhaft den intellektuellen Diskurs der 70er und 80er Jahre, ich bin ihm da rettungslos unterlegen.
Heute morgen ist es wieder passiert.
„Ich denke du machst soziologische Studien in der Stadtbahn, was soll der Walkman?“
„Ehrlich, ich kann es im Moment nicht mehr ertragen, Millionen haldebiler Syrer mit ihrem Lärm haben meine soften Nerven überrreizt.“
„Was mußt du auch in Urlaub zu einem unterdrückten Volk fahren, was hörst du denn?“
„Xavier Naidoo“
„Der kifft doch auch.“
„Willst du dich etwa zum Moralapostel in Sachen Drogenkonsum aufspielen, wie war das noch gleic mit der bürgerlichen Verlogenheit?“ (der ging an mich)
„Schon gut, was singt er denn?“
– „Geh davon aus, dass mein Herz bricht/denn unsere Liebe ist erfroren/Wenn meine Seele nicht mehr spricht/hab ich diesen Kampf verloren.“
„ Sämige Mischung aus Politjargon, „Geh davon aus“, pseudopoetischer Kühl- und Kampfmetaphorik, „Liebe erfroren, Kampf verloren“ ...“
(Uff, der scheint an ihn zu gehen)
...“sowie religiöser Erbauungs- und Erweckungslyrik, „meine Seele spricht“.
„Ja, aber ich achte nicht so sehr auf den Text, die Musik...“
„Aufgeschäumter Ohrendreck, oder, um mit Dolf Sternberger zu sprechen „Jargon der weichmütigen Selbstverklärung“.
Ich hatte meinen Walkman mittlerweile schon verzweifelt ausgestellt: „Äh, ja, schade, dass du schon aussteigen mußt.“ – Morgen lese ich wieder die Zeitung in der Bahn.
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