Ich ging in die vierte Klasse der Grundschule und war also etwa 10 Jahre alt. Meine finanzielle Lage war instabil, manchmal gab es Geld für den Kiosk, manchmal verweigerte meine Mutter jegliche Unterstützung. Ein System war nicht zu erkennen, regelmäßiges Taschengeld war damals (ich rede von den späten 60-ern) noch nicht erfunden. Meiner damaligen Freundin Uschi S. mit den langen blonden Zöpfen ging es ähnlich. In den Sommermonaten konnten wir den Föngroschen für Süßigkeiten einsetzen, die Haare trockneten auf dem Weg vom Schwimmbad nach Hause, niemand stellte kritische Fragen.
Es war einer jener klammen Späthersttage, als wir von der Straßenbahnhaltestelle gen Kiosk wanderten, unsere Schwimmbeutel im hohen Bogen schwingend.
„Wieviel hast du noch, Uschi?“
Uschi zog ihr saudoofes perlenbesticktes Portemonnaie hervor und zählte: „Sieben.“
Sieben Pfennige, das reichte gerade für sieben Blatt Esspapier oder einen Salino und eine Schaumzuckermaus. Klar, Uschi würde den Salino mit mir teilen. Ich mochte aber nicht, dass sie ihre Hälfte abbiß, weil dann ihre Spucke an meinem Teil klebte. Ich dachte mit Grausen an ihren letzten Geburtstag zurück, wo sie mich zum Küssen überredet hatte, bah war das nass !!! Also müßten wir den Salino langziehen und mehrfach falzen bis eine Bruchstelle entstand, mühsam das.
Wir gingen zum Kiosk (für Hannoveraner: es war der auf dem Altenbekener Damm gegenüber der Mendelssohnstraße, den Kiosk gibt es heute noch) um unsere Alternativen zu sondieren. Das Süßwarensortiment ließ keine Wünsche offen: zwei Sorten Schaumzuckermäuse, Negerküsse für zehn Pfennig, dahinter stapelten sich die rosa-weiß gestreiften Waffeln, daneben die Ahoi-Brausepulverschachteln, die Lakritzschnecken, der Speck, die sauren Stangen...
Sieben Pfennig waren zu wenig.
Ich weiß nicht wer auf die Idee kam, aber Schuld war eindeutig die gelbe Telefonzelle zwischen Kiosk und Haltestelle.
„Tschuldigung, wir müssen dringend nach Hause telefonieren, haben aber nicht genug Geld“, sagte ich mit zittriger Stimme und vom Chlorwasser geröteten Augen. Ich muss wohl so einen verheulten Eindruck gemacht haben, dass ich gleich vom ersten Erwachsenen zwanzig Pfennig bekam. Uschi strahlte ihn mit einem entzückenden Kinderlächeln an und wir stratzten zur Telefonzelle. Uschi beobachtete den Geschröpften: „der guckt noch.“
Also nahm ich den Hörer ab, tat als würfe ich Geld in den Automaten und wählte eine fiktive Nummer: „Hallo Mutti, ich wollte nur...“ Dann fuhr die Straßenbahn ab und nahm alle Zeugen unseres Betruges hinweg.
Wir verfeinerten unsere Methode an diesem Nachmittag noch. Irgendwann waren wir Geschwister und hatten gar kein Geld. Einige Straßenbahnen später reichte es sogar für Waffeln.
Ich sag mal so: Wer weiß, was ohne Telefonzelle geschehen wäre. Vielleicht hätten wir recht früh unseren ersten Kiosk überfallen.
Das kannst du nachlesen, wenn du die Rubrik "Dämonen der Vergangenheit" anklickst und "Was hast du 1968 getan" liest. Es hat nicht lange gehalten, die Sache mit Uschi.
Kommentiert von: wth40plus | Mittwoch, 11. April 2007 um 15:30 Uhr
Das erinnert mich an Geschichten, die ich mit Tamara erlebt habe, bevor der Lump Raffael sie mir weggeschnappt hat. Was ist aus dir und Uschi geworden?
Kommentiert von: Mario Conde | Mittwoch, 11. April 2007 um 09:31 Uhr