Meine 23-jährige Tochter meinte neulich mal so beiläufig zu mir;"Du gehörst doch auch zu den 68-ern..." Als ich verneinte, wollte sie wissen, was ich 68 gemacht habe:

Klar erinnere ich mich verschwommen an Fernsehberichte in schwarz/weiß aus unsrem Bakelitfernseher mit Extraaufsatz für das zweite Programm (den ich drei Jahre später auf dem hannoverschen Flohmarkt einem Türken als Radio verkaufte). Aber ansonsten war ich im Spätsommer 1968 neuen Jahre alt und ging in die vierte Klasse der Grundschule in Hannovers Südstadt. Vierte Klasse, weil es damals Kurzschuljahre gab. Ich glaube ich war in meine Lehrerin Fräulein Jordan verliebt. Sie war genau mein Typ: intelligent und sexy, trug einen karierten Minirock. Leider heiratete Fräulein Jordan bald und hieß fürderhin Gutbrodt. Das tat damals ganz schön weh. Ich fand Trost in den Armen von Uschi, Tochter einer Blumenhändlerfamilie; mit rotblonden Zöpfen. Mit zehn Jahren war Uschi zwar viel zu alt für mich, aber sie gefiel mir. Leider wollte sie ständig feucht knutschen, was ich damals noch nicht so doll fand. Nichts dagegen hatte ich, dass sie ständig verlangte, ich solle mich auf sie legen. Was auch immer sie davon gehabt haben mag, gesagt hat sie es mir nicht. Uschi hatte einen älteren Bruder, der Götz hieß und feuerrote Haare trug. Außerdem gab es da noch eine Schwester mit rotlackierten Fußnägeln, die meine Phantasien noch jahrelang auf Trab hielten.
Ein großes kulturelles Ereignis fand ebenfalls für mich 1968 statt. Meine Muter ging mit mir zum ersten Mal ins Kino: Gloriapalast, Doktor Schiwago auf der Großbildleinwand. Das Kino gibt es heute nicht mehr und über die Größe der Leinwand würden wir heute müde lächeln. Ich wollte eigentlich „Django“ mit Franco Nero sehen, was meine Mutter aber ablehnte. Django sah ich vier Jahre später im Internat, nachts gegen 22 Uhr, wenn die Erzieher schliefen, wir hatten uns einen Zweitschlüssel zum Fernsehschrank machen lassen. Ich fand ihn nicht so doll. „Leichen pflastern seinen Weg“ mit dem eisgemeinen Klaus Kinski und dem sterbensschönen Jean Louis Trintignant (oder so ähnlich) nahm mich mehr mit.
Was ist geworden aus meinen 68ern?
Uschi nannte aus Verzweiflung, dass ich aufs Gymnasium wechselte und sie zurückließ ihren Goldhamster nach mir. Uschis Schwester mit den roten Fingernägeln steckte mir zwei Jahre später in der Straßenbahn, dass „Thorsten“ verreckt und begraben sei. Uschi selbst traf ich fünfzehn Jahre später wieder. Sie hatte eine beachtliche Oberweite bekommen und lebte in einer Bauwagenkolonie am Stadtrand. Götz , ihr Bruder, pflegte mich, als ich mit 18 eine erste Hirnhautentzündung bekam. Er war Krankenpfleger und schwul. Jahre später traf ich ihn noch einmal, da war er bereits schwer von Aids gezeichnet und sollte nur noch ein halbes Jahr zu leben haben.
Frau Gutbrodt ist heute Direktorin eines Mädchengymnasiums, ich bekam neulich ein Sponsoringgesuch von ihr. Ich erzählte ihr, dass sie mal meine Klassenlehrerin gewesen sei. Sie erinnerte sich nicht an mich. Das war natürlich bitter, aber andererseits trägt sie heute auch keine Miniröcke mehr...
Wow, mit so viel Reaktion hätte ich bei diesem Thema ja gar nicht gerechnet:
Jens, dafür werde ich mich rächen =8-)
Wanda Tinasky; werfen Sie einen Blick in "Dämonen der Vergangenheit", da liegt meine Entwicklung offen vor Ihnen. Bedenken?
Kieke, es war die Peter-Petersen-Schule, Strasse habe ich vergessen. Zu Kilroy habe ich etwas interessantes gefunden, das werde ich demnächt posten.
EFD. d'accord. Gibt es denn bereits eine gute literarische (oder wie auch immer) Aufbereitung des Themas, ich glaube nicht.
In meiner Jugend war ich übrigens immer neidisch aurf die 68er. Das hat sich aber gelegt.
Kommentiert von: wth40plus | Freitag, 09. Februar 2007 um 11:43 Uhr
Hirnhautentzündung!!! Aha, daher.
Kommentiert von: Jens Vogel | Freitag, 09. Februar 2007 um 10:30 Uhr
Mit neun Jahren für eine Lehrerin schwärmen und Zehnjährige küssen und sich auf sie legen. Das finde ich schon eine bedenkliche sexuelle Entwicklung.
Kommentiert von: Wanda Tinasky | Freitag, 09. Februar 2007 um 10:28 Uhr
Welche südstädtische Grundschule war es denn?
PS: Was ist aus Killroy geworden?
Kommentiert von: kieke | Donnerstag, 08. Februar 2007 um 16:48 Uhr
Ich bin ein 68er, zumindest vom Alter her. Habe auch den langen Marsch durch die Institutionen gemacht (AA). Die Reaktion ihrer Tochter ist kein Wunder, bei dem Unsinn, der gerade rund um die 68er passiert: diese unsägliche Uschi Obermeier Hysterie. Die peinlichen Talk Show Auftritte von ihr und dem Langhans. Und natürlich jetzt die Begnadigungsarie der Terroristen. Dabei war diese Generation für die Entwicklung unserer deutschen Gesellschft schon von großer Bedeutung.
Kommentiert von: E.F.Dräcker | Donnerstag, 08. Februar 2007 um 16:46 Uhr
Hi Benny, gut gerechnet, eine gewisse Reife kann man mir halt nicht absprechen. Mit Bullit hast du Recht: Für diejenigen, die keine Ahnung haben - ja, der Film hat eine Handlung, aber die Hauptsache ist natürlich die berühmte Verfolgungsjagd durch die Hügel und Straßen San Franciscos. Hauptdarsteller neben Steve McQueen ist ein dunkelgrüner 68er Mustang mit 390er Motor und Vierfachvergaser sowie ein Dodge Charger.
Kommentiert von: wth40plus | Donnerstag, 08. Februar 2007 um 16:24 Uhr
Ist das ein 68er Mustang, wie ihn Steve Mc Queen in "Bullit" fuhr?
Ich habe gerade mal nachgerechnet, wenn du '68 neun Jahre alt warst, dann bist du heute 48, du alter Sack. 8-)
Kommentiert von: Benny Profane | Donnerstag, 08. Februar 2007 um 16:05 Uhr