Es wurde langsam Zeit, meinem alten Physik- und Englischlehrer Dr. Engelhardt von Emden (er hatte den nicht erblichen Adelstitel von Wilhelm II bekommen, denn er war einer der wenigen Überlebenden des Schlachtkreuzers Emden) ein Denkmal zu setzen.
Schauen wir in heutige Lehranstalten, dann sehen wir fast ausnahmslos verständnisvolle verweichlichte Pädagogen, die nur eines wollen: Der beste Freund ihrer Schüler zu sein. Kuscheliges Wohlgefühl im Klassenzimmer ist ihr Ideal.
Bäh.
Bei uns war das Feindbild noch klar, es gab nur Schwarz und weiß: Wir wußten es noch ganz genau, nur ein toter Lehrer ist ein guter Lehrer. Und unsere Lehrer wußten es genauso: Ihr natürlicher geborener Feind war der Schüler.
Also wir.
Aus eben solchem Holz war Engelhardt geschnitzt. Es waren die frühen 70er Jahre in Hannover. Geschichte und Physik unterrichtete Engelhardt an Hannovers Bismarckschule. Eigentlich war er schon pensioniert, aber die Schulleitung war wohl der Meinung, nicht auf seine jahrzehntelange Erfahrung verzichten zu können.
Wenn er die Klasse betrat, dann hatten wir aufzustehen und stramm zu stehen. Wortlos ging er dann zu seinem Pult, verschanzte sich dahinter, fixierte uns finster und donnerte: "Morgn Männer" (wir waren damals ein reines Jungengymnasium). Wir mußten mit einem ebenso markigen "Guten Morgen, Herr Engelhardt von Emden" antworten. War er zufrieden mit Simultaneität und Phonstärke unseres Grusses, dann durften wir uns setzen.
Die Geschichtsstunden bei ihm bestanden aus seinen immergleichen Kriegserlebnissen, die wir ihm begierig von den Lippen ablasen und die stets darin gipfelten, dass er seine Hosenbeine hochkrempelte und uns seine Narben von Granatsplittern zeigte.
Hohen Unterhaltungswert hatten auch seine Physikstunden, in denen er praktische Experimente zelebrierte. Um uns die Zentrifugalkraft zu demonstrieren, band er ein dünnes Seil an einen Ziegelstein, den er dann, einem Hammerwerfer gleich, über seinem Kopf schwirren ließ. Die Zentrifugalkraft war so beachtlich, dass das Seil einmal riss und der Stein quer durch den Physiksaal flog, um endlich, den Klassendicksten nur um Haaresbreite verfehlend, ein bemerkenswertes Loch in die Rückwand des Saales zu schlagen.
Der Klassendickste wurde kreidebleich.
Engelhardt aber hatte kein Mitleid mit ihm, sondern forderte ihn lediglich lakonisch auf, den Stein gefälligst schnellstens zum Lehrerpult zurückzubringen und dabei den eben gehörten Vortrag knapp zusammenzufassen.
Das klingt lustig, aber uns war in Engelhardts Stunden wenig zum Lachen zumute. Mußten wir doch immer auf seine gefürchteten Kurztests gefasst sein. In allen Klassen, die Engelhardt unterrichtete lag der Notendurchschnitt knapp unter fünf. Die Klassenarbeiten des erwähnten Klassendicksten benotete er gerne und häufig mit einer Sieben. Nur ein Machtwort der Lehrerkonferenz brachte Engelhardt davon ab, ihm diese Note auch im Zeugnis zu geben.
Engelhardt starb kurz nachdem ich die Schule verließ und gen Internat zog. Mit dem trügerischen Glauben, dass es schlimmer eigentlich nicht kommen könnte. Ihm habe ich die Erkenntnis zu verdanken, dass die Welt nicht kuschelig gepolstert ist, sondern uns mit Kopfnüssen und Niederlagen versorgt. Wie pflegte er immer zu sagen: "Nicht für die Schule, sondern für mich lernt ihr".
Und deshalb hat er dieses Denkmal verdient, der alte Sack.
War er auch. So um die 70. Es war 1968 oder 69 als ich in die vierte oder fünfte Klasse ging. Engelhardt hatte als Schiffsjunge auf der Emden angeheuert.Und da es damals so etwas wie "Lehrermangel" gegeben hat, mußten pensionierte Lehrer reaktiviert werden. war nicht immer eine glückliche Lösung.
Kommentiert von: wth40plus | Montag, 19. Februar 2007 um 15:37 Uhr
War er auch. So um die 70. Es war 1968 oder 69 als ich in die vierte oder fünfte Klasse ging. Engelhardt hatte als Schiffsjunge auf der Emden angeheuert.Und da es damals so etwas wie "Lehrermangel" gegeben hat, mußten pensionierte Lehrer reaktiviert werden. war nicht immer eine glückliche Lösung.
Kommentiert von: wth40plus | Montag, 19. Februar 2007 um 15:35 Uhr
Aber der muss doch schon uralt gewesen sein, wenn der im 1. Weltkrieg auf dem Schlachtschiff dabei war...???
Kommentiert von: kieke | Montag, 19. Februar 2007 um 13:23 Uhr