Eine Leiche im Keller hat jeder. Und wenn es nur das vergilbte Poesiealbum mit den frühen Pubertätsgedichten oder das zerfledderte Pornoheft ist, das hinter der Kartoffelkiste vergammelt. Eine Leiche im Keller kann aber auch eine peinliche Begebenheit sein, die einem im früheren Leben passiert ist. Wie zum Beispiel ein dummes Verbrechen, das man irgendwann begangen und das man zu Recht längst verdrängt hat. Oder eine politische Verirrung, an die man sich heute lieber nicht erinnert. Leichen im Keller haben immer etwas Peinliches. Letzte Woche sah ich Karl Dall im Fernsehen, er feierte seinen 90. Geburtstag oder so und stellte sein neues Buch "Auge zu und durch" vor. Da fiel es mir ein, mein peinlichster Konzertbesuch:
Es ist ungefähr 30 Jahre her und war während unserer Klassenfahrt nach Berlin. Wir hatten ein vollgepacktes Kulturprogramm und dazu gehörte auch ein Konzertbesuch. Da ich Zappa bereits gesehen hatte, hatte ich mich für Insterburg und Co angemeldet, wo Karl Dall samals seine Karriere begann. Um es vorweg zu sagen: Ich hatte entschieden einen zu doll auf die Glocke gegossen, zum völligen Filmriss reichte es allerdings nicht, sodass die Blamage, die jener Abusus mir einbrockte - gut konserviert sozusagen von dem Alkohol, dessen Missbrauch sie verursachte -, mir bis zum heutigen Tag leider sehr präsent ist.
Die Älteren werden sich an sie erinnern. Den Jüngeren muss wohl erklärt werden, dass Insterburg & Co einen für damalige Verhältnisse grandiosen Blödsinn auf der Bühne verzapften. Da wurde komisch musiziert und rumgealbert, witzig gesungen und krumm gedichtet. In Berlin war Austragungsort das alte Kongreßzentrum, die sogenannte „schwangere Auster“. Ein Konzertbau im gediegenen 50-er Jahre Design mit livriertem Personal. Normalerweise fanden hier klassische Konzerte statt. Für uns galt sie deshalb als ein Unort. Aber was half's. Wir wollten Insterburg & Co sehen.
Wie immer, wenn wir loszogen, brachten wir, um uns zusätzlich zu stimulieren, auch hierher einige Liter billigen Weines mit. Außerdem hatte ich an diesem Abend eine Rundumleuchte mit, die wir unserem Internatshausmeister geklaut hatten. Ich fürchte, ich fand das irgendwie witzig.
Heute ist es schwer vorstellbar, dass man mit einer Zweiliterbombe Frascati, und einer Tatütataleuchte in einen Konzertsaal eingelassen wird. Damals war das kein Problem. Von jeglicher Kontrolle unbehelligt, spazierte ich zu meinem Sitzplatz, wo ich zu meiner Überraschung, eingelassen in die Rückenlehne vor mir, ein Tischchen vorfand, das wie geschaffen schien als Abstellfläche. Viel zu schnell tranken wir den Frascati, bald hatte ich gewaltig einen im Kahn. Zu betrunken, um den lang erwarteten Auftritt der vier Humoristen nicht frenetischst zu bejubeln, war ich aber noch lange nicht. Ich war allerdings der einzige der gut 2.000 Zuschauer, der dies stehend mit Rundumleuchte tat. Da hatte ich noch die Lacher, auch die der Insterburgs, auf meiner Seite. Als ich aber auch ihr laufendes Programm ständig, und zwar meistens an den falschen Stellen, zu feiern begann, indem ich immer wieder kichernd aufsprang, mit erhobenem Glas wirre Toasts Richtung Bühne ausstieß und wiederholt auch die Rundumleuchte betätigte, änderte sich das. Da habe wohl jemand den Schlüssel zu Vatis Schnapsschrank gefunden, lautete einer der Kommentare von der Bühne. Der einzige, an den ich mich erinnere.
Wirklich gestoppt hat mich aber keiner. Sie haben mich Peinsack gewähren lassen. So war das in diesen antiautoritären Zeiten. Da wurde selbst einem betrunkenen Gymnasiasten das Recht auf die Entfaltung seiner Persönlichkeit gewährt.
Erst in der Pause haben mir meine Freunde behutsam die Leuchte entwendet. Einer von den Insterburgs war extra in den Zuschauerbereich gekommen und hatte darum gebeten.
Erst mit zunehmendem Alter begann mir die Dämlichkeit meines Auftritts zu dämmern, und eine immer größere Scham überkam mich, wann immer ich dieses Abends gedachte. Gottlob ist keiner meiner heutigen Freunde, die mir aus dieser Zeit erhalten geblieben sind, bei dem Konzert dabei gewesen. Auch jetzt, nachdem ich darüber berichtet habe, erröte ich peinlich berührt. Aargn!
Die sache mit der Rundumleuchte kenne ich aus Kinotagen, als man sich die Rocky Horror Picture Show anguckte und Reis schmiss, Toilettenpapier ent-wickelte und an entsprechender Stelle die Rundumleuchte herausholte.
Kommentiert von: kieke | Montag, 18. Dezember 2006 um 11:24 Uhr