Es ist das vorläufige Ende einer wunderbaren Freundschaft. Sie begann in den frühen Siebzigerjahren, als ich in die Sommerferien im Ferienhaus meines Freundes Andreas am Gardasee verbrachte. Ich war fünfzehn und die Taschengeldzahlungen waren kärglich, und daher sah ich mich veranlasst, meine Ausgaben mit der Strenge eines unerbittlichen Sparkommissars zu überwachen. "Was sollen wir trinken?", flüsterte ich, als ich mir den Besuch einer schummrigen Discothek in Malcesine erlaubte. "Das da!", knarrte der Sparkommissar, es war José, der Besitzer. José hieß eigentlich Josef und kam aus Bayern. Am Abend zuvor hatten wir gemeinsam zwei Flaschen Lamborghini geköpft und er hatte mir sein schweres Leid geklagt: José konnte mit seiner Freundin immer nur in einer Badewanne Sex haben. Woanders regte sich bei ihm nix. Das Problem war, dass er sowohl in seinem Haus als auch in seinem Geschäft nur über eine Dusche verfügte. So musste er immer zum Baden ins Hotel, was einerseits erheblich ins Geld ging und jetzt in der Hochsaison sogar unmöglich war.
Jedenfalls zeigte er auf das günstigste Bier auf der Getränkekarte, und so kam ich zum ersten Hefeweizen meines Lebens. José hatte es aus Bayern importiert. Es schmeckte mir. Das Einzige, was mich störte, war die Zitronenscheibe, die seinerzeit noch ins Hefebier geworfen wurde. "Was macht man damit?", überlegte ich. "Ignorieren? Auspressen? Essen?" Ich entschied mich, sie auszulutschen, denn schließlich hielt mich meine prekäre Haushaltslage dazu an, jede Möglichkeit der Vitaminzufuhr zu nutzen.
Zurück in Norddeutschland suchte ich Hefeweizen, was damals noch sehr schwer war. In Bad Harzburg, wo ich zur Schule ging, beargwöhnte man meinen Hefeweizenkonsum, da dieses Bier zu bayerisch war und "Bayern" hier nichts anderes war als ein Synonym für Luzifers Königreich. Übrigens begann Bayern damals kurz hinter Kassel, südliche Bundesländer wie Baden-Württemberg entzogen sich unserer Kenntnis. So saß ich oft traurig und allein in meiner Kirchenmauskemenate, trank Weizenbier, um zu vergessen, und bekam vom vielen Zitronenlutschen eine ganz pelzige Zunge.
Das Weizenbier war auch dabei, als ich die Nase endlich voll hatte vom Ausgestoßensein, und zum Studium nach Hannover ging. Kaum hatte ich die Kisten und Kästen in mein neues Domizil geschafft, verfügte ich mich in die nächstbeste Schankstube, um zu feiern. Im Handumdrehen hatte ich Freunde, die mir erklärten, dass Zitrusfrüchte im Hefeweizen nichts zu suchen hätten. Gemeinsam mit ihnen trank ich eine ganze Batterie von Weizenpokalen leer, und ich war selig, den sauren Kompagnon meines Lieblingsbiers endlich los zu sein.
Es hat noch viele Momente gegeben, in denen das Weizenbier und ich unzertrennlich waren. Es tröstete mich nach Debakeln aller Art, löschte meinen Durst nach Feierabend, beflügelte mich, wenn es galt, in launiger Runde humorige Schnurren zum Besten zu geben. Nach dem Studium begann ich dann dem Weine den Vorzug zu geben, was ich mir nach Kennenlernen meiner geliebten Frau Bettina und des badischen Weines ganz zu eigen machte. Weizenbier trinke ich nur noch im Sommer, weil es auch trefflich den Durst löscht. Immer gegen Ende November trennen sich daher unsere Wege, die Weizenbierkästen verschwinden bis Mai aus dem Keller und in der Kneipe gibt es vornehmlich Wein. Heute Abend kurz vor "genial daneben" will ich noch eine Flasche auf diese Freundschaft leeren, das sollte einem der vorläufige Abschied von einem so treuen Gefährten wohl wert sein. Hick!
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