Neulich klingelte es an meiner Tür, ich öffnete und vor mir stand eine ältere Frau mit grauem, strubbeligem Haar und einer überdimensionierten Eulenbrille. Sie sagte, sie sei der Mikrozensus und wolle mich statistisch erfassen.
„Oh ja, ich liebe Quiz“, meinte ich leichtsinnigerweise. Sie bedachte mich mit einem missbilligenden Blick und drängte in unser Esszimmer. Ohne den grauen Anorak auszuziehen, setzte sie sich an den zugekrümelten Tisch, erfasste meine halbleere Flasche Südtiroler Vernatsch mit statistischem Blick und legte los. Mein Haus und auch ich seien auserwählt, genau untersucht zu werden. Während ich noch grübelte, ob ich der personifizierten Statistik einen Kaffee anbieten sollte, packte die bereits ihr Mäppchen aus und begann, routiniert zu fragen.
Was der Mikrozensus in seiner weiblichen Form nicht wissen konnte, ist, dass gleich die erste Frage mich ziemlich aus der Bahn warf: "Jahrgang?" - "58." "Monat?" - "November." -"Dann sind Sie ja fast 50"." - "Nein, noch nicht" sagte ich empört. „erst in knapp zwei Jahren“. Die Differenz ist mir wertvol, aber dem Mikrozensus war das wohl egal, sie packte mich in die Rubrik 45-50.
50 - auf dieses unsägliche Datum treibe ich zu. Früher hatte ich mich auf meine Geburtstage gefreut: 21 oder 24 zu werden, das konnte man laut sagen, das hatte so eine Mischung aus "Mir gehört die Welt" und Geburtstagskerzen. Aber 50? Wer kann schon 50 Kerzen auspusten? 50. Richtig coole Leute legen sich wie Kurt Cobain mit 27 betrunken in die Badewanne oder vor die Straßenbahn oder vor eine Schrotflinte.
Aber so cool bin ich eben nicht, da bleibt mir eben nur zuzusehen, wie sich immer mehr Türen vor mir schließen. Zum Beispiel auf den Abrisszetteln im Kneipenklo: "Schlagzeuger für Punkband bis höchstens 26" oder "Mitbewohner in toller 6er-WG bis Mitte 30" werden da gesucht. In der FAS sucht man einen Leiter Unternehmenskommunikation bis Anfang 40. Ist 50 eigentlich noch Anfang? Oder das Ende? - Nicht, dass ich Lust auf all das hätte, aber allein die Möglichkeit bedeutet Freiheit, Weite, Jugend.
Den Mikrozensus schien all das wenig zu interessieren: "studiert?" - "Ja." - "Haben Sie eine abgeschlossene Berufsausbildung?" - "Ja." - "Wann haben Sie Abitur gemacht?" - "Äh", flüsterte ich und rechnete: „1978, oder war es ‚77?“ „Das müssen Sie doch wissen?“ - Muss man sich wirklich so etwas merken?
Der Mikrozensus fragte weiter: nach privater Rentenvorsorge, vermögenswirksamen Leistungen, Bausparverträgen, Erbschaften, Immobilien. Und während ich auf einen Zettel zu allen weiteren Fragen nach gemeinschaftlicher Haushaltsführung und Frührente ein großes Nein schrieb, beendete der Mikrozensus seine Befragung und schloss die Tür.
Mir blieben noch 23 Monate. Ich ließ schon mal das Badewasser ein - für alle Fälle.
Mein Tipp: ein Löffelchen Hormocenta ins Badewasser...
Kommentiert von: zztop | Donnerstag, 07. Dezember 2006 um 11:18 Uhr