Gestern Abend wollte ich eigentlich mal wieder die aufgelaufenen Papiere und Rechnungen des letzten Quartals ordnen und bezahlen, da rief mein Lieblingsfrisör an. Er steht dem Kanzler sehr nahe. Er denkt wie er. Er fühlt wie er.
- "Hömma Junge, wat habt ihr denn da widda gemacht?"
Normalerweise spricht mein Liebelingsfrisör nicht mit Ruhrpottakzent. Normalerweise sagt er auch nicht „Junge“ zu mir. Auch alles Auftrumpfende und Aggressive ist ihm fremd. Normalerweise. Schien so, als ob er um 21 Uhr schon leicht Weinschwer war.
- "Was meinst du,?"
- "Na mit der Wahl: Ihr habt doch alles falsch vorhergesagt. Ihr von den Medien wolltet doch, dass die Merkel gewinnt!"
- "Aber ich bitte dich, du weißt doch. Ich bin Öffentlichkeitsarbeiter nicht Journalist. Und ich lese die taz! Ich bin bei den Guten!"
"Achja, die von der taz haben in der letzten Woche noch so gerade die Kurve gekriegt."
Wie gesagt: Normalerweise ist mein Lieblingsfrisör ein sehr umgänglicher Mensch. Auch politisch. Er ist seit 1970 in der SPD und seit 1971 zu keiner Versammlung mehr gegangen. Seine Frau darf wählen, was sie will. Früher war Willy Brandt sein Held. Später Oskar Lafontaine. Jetzt wohl nicht mehr.
Als er anrief, war es 21 Uhr. Ich hatte den ganzen Tag gearbeitet. Mein Lieblingsfrisör klang, als hätte er schon länger Feierabend gemacht.
- "Ha! Der Gerd hat euch das so richtig gezeigt. Ha!"
Er war in einer unangenehmen Stimmung. Ich nenne das die Rudi-Assauer-Stimmung. Rudi Assauer ist der Manager von Schalke 04. Assauer raucht öffentlich und haut seiner Frau in meinem Lieblingswerbespot auf den Hintern. Im neuen lässt er sie in Dessous auf dem Bett liegen und trinkt lieber ein Veltins. Man muß den Frauen eben ab und zu mal zeigen, wo die Prioritäten liegen. Assauer entscheidet aus dem Bauch und pflegt das deutliche Wort. Neulich hat ein Fernsehmoderator angedeutet, er habe ein Alkoholproblem.
Rudi Assauer ist übrigens - ähnlich wie der Bundeskanzler und mein Lieblingsfrisör - ein Medienkritiker. Als neulich ein Professor aus Heidelberg oder Freiburg oder so in einem Nachrichtenmagazin ausrechnete, Schalke sei überschuldet, kommentierte Assauer: "Den Mann muss man eigentlich standrechtlich erschießen."
Jeder Mann sollte das Recht haben, ab und an in Rudi-Assauer-Stimmung oder in Gerhard-Schröder-Stimmung zu sein. Das Schlimme ist doch: Die Rudi Assauers sterben aus. Und die Gerhard Schröders auch. Joschka Fischer ist jetzt schon weg. Und nach ihnen kommen kluge Frauen und kalte Neoliberale. Oder kalte neoliberale Frauen.
Nach dem Gespräch mit meinem Lieblingsfrisör war ich jedenfalls auch in Rudi Assauer Stimmung. Es ist jetzt eine Woche her und welcher Journalist hat sich eigentlich für die eklatanten Fehleinschätzungen seines Blättchens in den letzten Wochen vor der Wahl entschuldigt? Und bitteschön: Wo hört man, dass in den Umfrageinstituten die Köpfe rollen angesichts der katastrophal falschen Umfrageergebnisse der letzten Woche?? Welcher Umfrage soll man denn jetzt eigentlich noch glauben???
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